Pociao hat den schönsten und besten Text eingeliefert. Gratulation!
Mir hats Spaß gemacht, einmal in einer anderen Sprache zu "wildern". Und beim Vergleich mit dem Siegertext habe ich viel gelernt! (z.B. nicht gegen eine Wand andenken, Knoten beherzt entknoten ... und noch einiges mehr).
Ich stelle meine Version hier ins Netz. Vielleicht machen das ein paar von den übrigen 400 Mitstreitern ja auch. Wäre sehr spannend!
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Don DeLillo
Great Jones Street
Ruhm verlangt alle Arten von Exzessen. Ich meine wahrer
Ruhm, das allesverschlingende Neon, nicht die dröge Bekanntheit abhalfternder
Staatsmänner oder kinnloser Könige. Ich meine lange Reisen durch graue Zonen.
Ich meine Gefahr, Sturzkanten aller Leeren, die Fährnisse eines Mannes, dessen
Erotik die Träume der Republik mit Terror überzieht. Versteh einer den Mann,
der derart extreme Regionen bewohnen muss, monströs und mösisch, feucht von
Erinnerungen an Gesetzesverstöße. Ist er begrenzt irre, frisst ihn der grenzenlose
Irrsinn des Publikums; ist er durch und durch vernünftig, ein Bürokrat in der
Hölle, ein heimliches Genie des Überlebens, vernichtet ihn das Publikum, das
für Überlebende nur Verachtung übrig hat. Diese spezifische Form des Ruhms nährt
sich von Gräueltaten, von dem, was die Berater von Halbgrößen für schlechte Publicity
halten – von hysterischen Anfällen in Limousinen, Messerstechereien unter den
Konzertbesuchern, skurrilen Gerichtsprozessen, Verrat, Teufelszeug und Drogen.
Das einzige Naturgesetz des wahren Ruhms besteht vermutlich darin, dass der
berühmte Mann am Ende Selbstmord begeht.
(Hat inzwischen jeder begriffen, dass ich ein Held des
Rock `n´ Roll war?)
Gegen Ende unserer Abschlusstour zeichnete sich ab, dass die
Zuhörer mehr wollten als nur Musik, mehr als die bloße Verdoppelung des eigenen
Krachs. Vielleicht war unsere Kultur ja an ihre Grenzen gestoßen, hatte den
Bogen ernstlich überspannt. In den letzten Wochen konnte man auf den Konzerten
immer seltener die schlichte, aus dem Bauch kommende Verausgabung spüren. Es
gab weniger Fälle von Brandstiftung und Vandalismus. Sogar weniger
Vergewaltigungen. Weder Rauchbomben noch die Androhung schlimmerer
Sprengkörper. Von allem abgeschnitten, waren unsere Fans momentan kaum noch am
Vergangenen interessiert. Sie hatten sich zwar von den alten Heiligen und
Märtyrern losgesagt, waren aber furchtbar alleingelassen mit dem eigenen, markierungslosen
Fleisch. Wer keine Eintrittskarte ergattert hatte, stürmte nicht mehr die Absperrungen,
und während der Auftritte waren die direkt vor uns am Bühnensaum
entlangschrammenden Jungs und Mädchen nicht länger mordsmäßig in mich verliebt,
als ahnten sie, dass mein Tod nur als selbst-gewollter authentisch wäre und nur
dann eine vielversprechende Handlungsanweisung, wenn ich ihn selbst
herbeiführen würde, am liebsten in einer fremden Stadt. Allmählich gelangte ich
zur Überzeugung, ihre Erziehung wäre erst vollendet, wenn sie mir als Lehrer
eine Lektion erteilten und die für unsere Band übliche Massenreaktion eines
Tages nur noch pantomimisch darbrächten. Sie sprängen zwar während des Auftritts
herum, tanzten, brächen zusammen, schwenkten die Arme, doch alles ohne einen
Laut. Wir ständen in der grellerleuchteten Kuhle eines riesigen Stadiums voll spastisch
zuckender Körper, und um uns herum nichts als Stille. Frei von den Schreien der
Leute wäre unsere neueste Musik kaum mehr als eine Bedeutungslosigkeit, und uns
bliebe keine andere Wahl, als mit dem Spielen aufzuhören. Was für ein tiefgründiger
Witz! Eine Lehrstunde in irgendwas.
In Houston verließ ich wortlos die Band und bestieg ein
Flugzeug nach New York City, dieses verseuchte Heiligtum, mein Geburtsort. Ich
wusste, dass Azarian die Leitung der Band übernehmen würde, sein Körper war der
ansehnlichste. Den Rest überließ ich der einschlägigen Aufhetze – Nachrichtenmedien,
Reklameleuten, Agenten, Buchhaltern, Mitgliedern des Manageradels. Das Publikum
würde mein Verschwinden besser verstehen als alle anderen. Obwohl das hier nicht
gerade die totale Show war, die die Leute brauchten, und keiner sich sicher
sein konnte, dass ich tatsächlich für immer wegbleiben würde. Für meine innigsten
Fans war es ein Vorgeschmack auf das Warten. Entweder ich käme mit einer neuen
Sprache für sie zurück oder sie müssten sich eine göttliche Stille suchen, passend
zu meiner.
Ich nahm ein Taxi und fuhr an den Friedhöfen vorbei
Richtung Manhattan, Gezeitenströme aschfarbenen Lichts brachen sich an den Turmspitzen.
New York schien älter zu sein als die Städte Europas, ein bitterböses Geschenk
des sechzehnten Jahrhunderts, pausenlos auf der Kippe zur Pestepidemie. Der
Taxifahrer dagegen war jung, ein sommersprossiger Typ mit mäßigem Afro. Ich bat
ihn, durch den Tunnel zu fahren.
“Da gibt´s ´nen Tunnel?”, fragte er.
Am Abend vorher, im Astrodome, war die Band ohne mich
aufgetreten. Azarian war ein Hüne an Gestalt, aber bei dieser Jungfernaufführung
konnte nichts die trostlose Stimmung der Menge aufheitern. Sie wandte sich
gegen die Bausubstanz, zerschmetterte, was zu zerschmettern war, versuchte den
künstlichen Rasen rauszureißen, vergriff sich gar an den sanitären Anlagen. Die
Tore gingen auf und die Polizei trat ein, die Blicke der Beamten leer, die
Freudenreigen in den Köpfen hinter gezähmten Augen verborgen: Sie führten ihre
patentierten Kommandos durch und brachen, im Bemühen, das Konzept der
Wohltemperiertheit durchzusetzen, Arme und Beine. In einem der widerlichsten
öffentlichen Statements des Jahres verglich Globke, mein Manager, die
Polizeiaktion mit einem Mini-Genozid.
“Der Tunnel führt unter dem Fluss durch. Es ist ein
hübscher Tunnel, er hat weiß-gekachelte Wände und Männer sitzen drin in
Glasboxen und zählen die vorbeifahrenden Autos. Eins, zwei, drei, vier. Eins,
zwei, drei.”
Ich interessierte mich für alles, was endete, dafür, wie
man eine tote Idee überlebt. Was die Wundgeschlagenen von Houston zu erwarten hatten,
hing ganz davon ab, was ich, meine persönlichen Grenzen überwindend, im Land
aller Enden lernen würde, fern von den Tropen des Ruhms.
(Don DeLillo,
Great Jones Street, Boston: Houghton Mifflin 1973, 1. Kapitel) 75